Gabriel – Ein Engel lernt fliegen!
Im März 2011 erfuhren wir von unserem Glück, dass wir Eltern werden würden, denn wir hatten geplant gemeinsam eine Familie zu gründen. Schon bald wussten es wir, dass es ein Junge wird und entschieden uns gemeinsam für den Namen „Gabriel“.
Am 30.08.2012, an unserem lang ersehnten 3D-Ultraschalltermin, wurden wir jedoch nach einer 6-monatigen Traumschwangerschaft auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Die Frauenärztin begann den Ultraschallkopf auf meinen Bauch aufzusetzen und unmittelbar danach zierte Skepsis ihr Gesicht. Ich merkte sofort, dass etwas nicht stimmte. „Ihr Kind hat Wasser im Bauch und ich kann mir nicht erklären woher“. Bereits 2 Stunden später lag ich auf der Station für Risikoschwangerschaften der Uniklinik Bonn auf dem Venusberg. Eltern mit ungeborenen Kindern bei denen Fehlbildungen oder Behinderungen diagnostiziert wurden, mitunter sogar Babys die es gar nicht bis zur Geburt schafften. Ein sehr belastendes Umfeld für eine werdende Mutter.
3 Wochen vollkommener Ungewissheit begannen. Niemand konnte sich oder uns erklären, woher die kritische Menge Wasser im kleinen Bauch von Gabriel kam. Unser einziger Trost war, dass sich Gabriel fleißig bewegte und augenscheinlich immer bester Laune war.
Am 20.09.2012 gegen 3 Uhr war es dann plötzlich soweit. Gabriel nahm uns alle weiteren Entscheidung ab als nachts die Fruchtblase platzte. Es musste ein Kaiserschnitt durchgeführt werden, denn aufgrund der ausladenden Wassereinlagerungen würde er eine natürliche Geburt nicht überleben.
Im OP: Stille! Minuten später, die operierende Ärztin sagte 8:29 Uhr. Wieder Stille. Es folgte der schlimmste Moment der Geburt. Kein Schrei, kein Weinen, kein Lebenszeichen!
Die Hebammen und Ärzte nahmen Gabriel mit ins Nebenzimmer. Was dann geschah entzieht sich unserer Kenntnis. Keiner der Ärzte, auch die uns später betreuten, berichteten jemals ein Wort darüber, was seiner Zeit genau mit Gabriel geschehen ist. Wir warteten voller Ungeduld! Etwa 5 Stunden später an diesem Abend durften wir endlich zu ihm. Das Bild das sich uns dort bot, realisierten wir erst Tage später. Ein Frühchen im künstlichen Koma, mit einer hochfrequenten Beatmung, durch Wassereinlagerungen aufgedunsen und an fast jeder Stelle seines zierlichen Körpers mit einem Kabel verbunden. „Wir müssen die nächsten Tage abwarten, dann sehen wir weiter“, keine Aussage die man sich als frisch gebackene Eltern wünscht, aber ab diesem Zeitpunkt funktioniert man nur noch. Daran, dass er sterben könnte, verloren wir keinen Gedanken – zu schmerzhaft und für uns undenkbar!
Gabriel kämpfte sich durch die nächsten Stunden und Tage, bis endlich eine Diagnose ausgesprochen werden konnte: eine sehr seltene Form der Lymphangiektasie mit einem Lymphchylaskos im offenen Bauchraum. Vergleichsfälle gab es kaum, Diagnosen für die Zukunft ebenfalls nicht. Vermutungen wurden geäußert, dass, wenn er überleben sollte, er unter einem geschwächten Immunsystem leiden, vielleicht geistig zurück bleiben oder im besten Falle eine lebenslange Diät einhalten müsste.
Die Ärzte offerierten uns den kleinen Hoffnungsschimmer einer Therapie, die aufgrund der wenig bekannten Fälle jedoch keine verlässlichen Heilungschancen versprach.
Gabriel kämpfte! Stunde für Stunde, Tag für Tag. Nach einigen Tagen schon konnte das Sedativum heruntergefahren werden. Der erste Augenaufschlag aus eigenen Kräften, nach 5 Tagen durfte er zum ersten Mal auf unseren Arm… Ein traumhaftes Gefühl.
Daraufhin wurde in kleinen Schritten die Beatmung reduziert sowie die Kabelvielfalt am winzig kleinen Körper verringert. Das Wasser in Gabriels Bauchraum und Körper wurde dank einer Drainage und Medikation weniger. Erst jetzt erkannten wir die Gebrechlichkeit des kleinen Körpers.
Nur die weiterführende Ernährung stellte sich problematisch dar, denn fetthaltige Mutter- oder Ersatzmilch verschlimmerten seine Symptome. Eine spezialisierte Nahrung ohne ungesättigte Fettsäuren sollte Abhilfe schaffen. Die Versorgung von Gabriel war durch ständiges verschlucken und von Herz-Kreislaufabfällen bis hin zur blau-Färbung geprägt, die sowohl dem kleinen Körper wie auch uns als Eltern sehr zusetzten.
Wie durch ein Wunder, wurde er in dieser Zeit von sämtlichen Frühchen-Krankheiten verschont, keine Hirnblutungen oder dergleichen, nur ein beidseitiger Leistenbruch und ein Nabelbruch ohne schwerwiegende Auswirkungen auf seinen sonstigen Krankheitszustand.
Wir gewöhnten uns sehr schnell an den Weg in die richtige Richtung, ehe uns nach 5 Wochen ein (im Nachhinein geringer) Rückschlag einholte.
Die Nahrung sollte zu Versuchszwecken auf die eigene Muttermilch umgestellt werden. Bei jeder Flasche hatten wir das Gefühl, wir bringen unser eigenes Kind mit der eigenen Milch um. Dieses eher negative Gefühl sollte sich bewahrheiten. Als Folge lief das Wasser im Bauch nach. Nach Tagen der Ratlosigkeit wurde die Nahrung wieder auf die vorherige Spezialmilch umgestellt und Gabriel in die Uni Kinderklinik am Rheinufer verlegt.
Es begann eine positive Zeit. Die Abfälle wurden weniger und das erste Mal fühlten wir uns als freudige Eltern. Wir durften baden, wickeln, füttern und UNSER Baby in den Armen halten. Die Betreuung des Teams vor Ort war unglaublich und eine ganz besondere Stütze für uns.
An unserem Ziel bis Weihnachten Zuhause zu sein hielten wir immer noch fest.
Am 30.11.2011 war es endlich soweit, Gabriel durfte mit uns nach Hause.
Alle 4 Wochen suchten wir anschließend die Uniklinik zum Ultraschall auf. Das Wasser im Bauch wurde weniger, das Medikament konnte ausgeschlichen werden, die Spezialnahrung blieb. Wir machten uns viele Gedanken, wie wir dieses Problem im weiteren Verlauf in den Griff bekommen könnten. Wie ernährt man ein Kind langfristig ohne gesättigte Fette und wie verhält sich sein Zustand im Rahmen seines körperlichen Wachstums?
Eine Ernährungsberaterin sowie das Team der Uni-Klinik Bonn stehen uns seitdem mit Rat und Tat zur Seite. In der Frühförderstelle integriert, entwickelte sich Gabriel langsam und verzögert, aber stetig.
Ein Jahr später: Gabriel lebt und befindet sich in beachtlich guter Verfassung. Wer hätte das noch vor einem Jahr gedacht! Der kleine Kämpfer hat sich seinen Namen verdient, er hat gelernt zu fliegen!
Zwar bleibt der Ausgang seiner Erkrankung weiterhin offen, doch befinden wir uns auf einem sehr guten Weg und werden mit viel Glück vielleicht sogar eines Tages ein fast vollkommen gesundes Kind haben.
Wir können uns gar nicht oft genug bei allen Ärzten und Schwestern der Uni-Klinik Bonn für die medizinische Hilfe sowie den menschlichen Beistand in dieser sehr harten Zeit bedanken! Ohne euch alle hätten wir die fordernde Zeit niemals so zuversichtlich durchgestanden!
Gabriel und Familie